Der Autor
Hubertus Godeysen
Biographie
Hubertus Godeysen, geboren 1949 in Lüneburg, begann sein Berufsleben mit einer journalistischen Ausbildung in Hannover. Danach arbeitete er für mehrere Medien und als Pressesprecher in Norddeutschland. Anschließend war Godeysen in internationalen Organisationen in Brüssel und Wien tätig. Seit 2005 schreibt er auch als Freier Journalist für deutsche und österreichische Medien, darunter DIE ZEIT, DIE WELT und WELT am SONNTAG. Er ist verheiratet und lebt südlich von Hamburg.
Mit dem österreichischen Bestseller Piefke – Kulturgeschichte einer Beschimpfung gelang Hubertus Godeysen 2010 der Durchbruch als Schriftsteller. 2014 schrieb er, gemeinsam mit dem Wiener Journalisten Hannes Uhl, das auch ins Englische übersetzte Buch „155 – Kriminalfall Kaprun“.
Nach ausführlichen Recherchen verfasste Godeysen den dokumentarischen Roman „Sommersturm“, der im Februar 2021 in der Hamburger Verlagsgruppe Bedey & Thoms Media erschienen ist.
10 Fragen an Hubertus Godeysen
von Anna-Lena Ruperti
Welche Bücher haben Sie durch Ihre Kindheit und Jugend begleitet?
Glücklicherweise durfte ich mit Büchern aufwachsen, weil in unserer Familie viel gelesen wurde. Ich las sehr intensiv und lebte mit meinen Helden. Die ersten Lieblingsbücher waren „Die Schatzinsel“, „Tom Sawyer“ und „Huckleberry Finn“. Ich habe sogar am Fieberthermometer getrickst und die Schule geschwänzt, um ungestört mit Tom und Huck auf dem Mississippi fahren zu können. Danach habe ich Karl May verschlungen und bei Winnetous Tod zwei Tage tief getrauert.
Weil ich Kapitän werden wollte, las ich viel über Seefahrt und nahm teil an Horatio Hornblowers Aufstieg vom Seekadetten zum Admiral. Ich begleitete Josef Conrad, Friedrich Gerstäcker und Jack London bei ihren aufregenden Abenteuern. Später las ich Charles Dickens, Theodor Storm, Wilhelm Raabe, Thomas Mann und Ernest Hemingway.
Rückblickend wundere ich mich, dass ich damals kein Buch von einer Autorin gelesen habe, aber „Jungsliteratur“ schrieben offensichtlich nur Männer.
Wann entdeckten Sie denn weibliche Schriftsteller?
Als ich die ersten Krimis las. Es begann mit Dorothy Sayers und Agatha Christie, dann folgten Patricia Highsmith und viele andere bis zu Nele Neuhaus und Charlotte Link. Ich bewundere diese Autorinnen, weil ihre Charaktere so vielseitig und tiefgründig sind. Mit weiblicher Beobachtungsgabe schauen sie gekonnt hinter die oft hohlen Fassaden prunkvoller Herrensitze oder großbürgerlicher Villen und erzeugen Spannung ohne billige Gruselschocks. Offensichtlich müssen Schriftstellerinnen sich nicht gegenseitig mit absurden und irren Todesvarianten übertrumpfen und haben es nicht nötig ihre Opfer besonders brutal und qualvoll sterben zu lassen. Ihre Waffe ist die Psychologie!
Wer sind Ihre Lieblingsschriftsteller?
Ich mag Tucholsky, Böll und Dürrenmatt, aber meine Liebe gilt den großen Erzählern Theodor Fontane und Siegfried Lenz.
Ihre „Kulturgeschichte einer Beschimpfung“ machte Sie als Autor bekannt. Wie kam es zum „Piefke“?
Als wir in Wien lebten, kam unser Sohn am zweiten Schultag vom Gymnasium nach Hause und erzählte, dass seine Mitschüler ihn als „Piefke“ beschimpft hatten. Danach bin ich tief in die waidwunde österreichische Seele eingedrungen, um die vielen Traumata aufzudecken, die sich seit der Niederlage von Königgrätz (1866) dort gegenüber Preußen und Deutschland aufgestaut haben. Bis heute wollen viele Österreicher nicht akzeptieren, dass sie nur noch der „kleine Bruder“ sind, obwohl sie meinen, die besseren Deutschen zu sein und das gehobenere Deutsch zu sprechen. Wahrscheinlich war „Piefke“ so erfolgreich, weil es gelang, die Irritationen leicht und amüsant zu entlarven.
Hat das Buch denn das Verhältnis zwischen Österreich und Deutschland verbessert?
Es wäre vermessen anzunehmen, dass ein Buch von 280 Seiten plötzlich die in 180 Jahren entstandenen Frustrationen beseitigt. Aber „Piefke“ hat viel bewegt! Das Buch ist zu einem wichtigen Standardwerk über das komplizierte österreichisch-deutsche Verhältnis geworden. Es hat Vorurteile abgebaut und zur Entkrampfung beigetragen. Politiker, Regierungsvertreter, Botschafter und Medien zitierten aus dem Buch. Und „Piefke“ wurde für zahlreiche wissenschaftliche Arbeiten verwendet und steht in vielen Universitätsbibliotheken, sogar in Harvard.
Sie haben dann zwei regierungskritische Bücher über Österreich geschrieben. Waren Sie als Deutscher da glaubwürdig?
Ich glaube ja. Mein Blick von außen wurde durchaus als glaubhaft angesehen, auch wenn das Ergebnis schmerzte. Bei den Recherchen wurde mir oft sogar wesentlich mehr Vertrauen entgegengebracht, als österreichischen Kollegen.
Worum ging es in Ihrem Buch über die Staatsbahn ÖBB?
Anfänglich wollte ich nur die historische Bahnstrecke über den Semmering retten und rutschte dann immer tiefer in einen Sumpf aus Abhängigkeiten, Gefälligkeitsgutachten und fintenreichen Intrigen einer Bau- und Tunnellobby, die Österreich auf Kosten der Steuerzahler zu einem gigantischen Selbstbedienungsladen macht. Die freigelegten Skandale um „Schwarze Löcher“ und „Rote Zahlen“ führten in Österreich zu einem breiten Echo, besonders, als bekannt wurde, dass die ÖBB das Buch verbieten wollte.
Was war der Auslöser für das Buch „155 – Kriminalfall Kaprun“, das Sie zusammen mit Hannes Uhl geschrieben haben?
Bei der Brandkatastrophe von Kaprun mit 155 Toten, war es mein Entsetzen über das skrupellose Verhalten des Rechtsstaates Österreich, der uns Deutschen doch so nah ist. Ich hätte nie gedacht, dass ein westlich geprägtes EU-Mitglied so offensichtlichen Rechtsbruch begehen würde, um vom eigenen Versagen abzulenken und sich vor der Verantwortung gegenüber den Hinterbliebenen zu drücken. Und niemals hätte ich es für möglich gehalten, dass unser Nachbarland in einem Gerichtsverfahren Beweise manipulieren und Gutachten fälschen lässt, um die Schuld nach Deutschland zu verschieben. Es war außerhalb meiner Vorstellung, dass die Republik Österreich lieber die Reputation der Justiz opfert, als ihr offensichtliches Fehlurteil aufzuheben. Spätestens nachdem unabhängige deutsche Staatsanwälte und Ermittler akribisch die Entstehung der Katastrophe von Kaprun nachwiesen, hätte die österreichische Regierung zur Wahrheit zurückfinden müssen.
Jetzt haben Sie einen spannenden Roman vorgelegt. Warum schreibt ein Journalist einen Roman?
Ja, „Sommersturm“ ist mein Debütroman. Das Schreiben hat mir viel Freude gemacht und ungewohnte Freiheiten beschert. Doch auch hier bin ich dem Journalismus treu geblieben, denn schließlich handelt es sich um einen dokumentarischen Roman mit sehr intensiven Recherchen.
Was hat Sie zu „Sommersturm“ inspiriert?
Obwohl wir heute fast nur noch über Corona reden, sollten wir nicht vergessen, welche enormen Umbrüche die Flüchtlingswelle des Jahres 2015 besonders in Deutschland ausgelöst hat. Mit „Sommersturm“ möchte ich den gesichtslosen Flüchtlingen, den vielen unbekannten Helfern und Entscheidern auf kommunaler Ebene ein Gesicht und eine eigene Identität geben. Es hat mich damals tief bewegt, wie spontan plötzlich unsere oft so satten und bequemen Landsleute ihre sicheren Sofas verließen, um zu Tausenden fremde Flüchtlinge willkommen zu heißen oder ehrenamtlich zu helfen, während die EU versagte und Populisten zu Hass aufriefen. Diese Bilder haben damals die Welt überrascht und es waren gute Bilder!
Das Buch beschreibt 25 spannende Schicksalstage des Spätsommers 2015. Während sich eine syrische Flüchtlingsgruppe von der türkischen Westküste über Griechenland, Mazedonien, Serbien, Ungarn und Österreich bis nach Norddeutschland durchkämpft, zerbricht das bis dahin beschauliche Leben in einer kleinen Landgemeinde der Nordheide, weil aus ihrer alten Schule plötzlich eine Asylunterkunft werden soll. Zusätzlich blickt der Roman hinter die Kulissen des politischen Krisenmanagements in Berlin, Brüssel, Wien und Budapest. „Sommersturm“ beschreibt einen dramatischen Augenblick in Europa und Deutschland, den wir alle hautnah erlebt haben.