Krieg um Keitum

Im Sommer vor 150 Jahren besetzten die Dänen Sylt. 
Ausgerechnet Österreicher kamen der Insel zu Hilfe

von Hubertus Godeysen

(1) Vor Wyk kämpften im Jahr 1864 Österreicher und Preußen gegen Dänen um Sylt, Föhr und Amrum

Seine Regentschaft beginnt der neue dänische König Christian IX. mit dem größten Fehler seines Lebens: Auf Druck der in nationaler Verblendung handelnden „Eiderdänen“ unterschreibt er am 18. November 1863 eine geänderte Verfassung, die gegen 400 Jahre altes Recht verstößt. Das „op ewig ungedeelte“ dänische Lehen Schleswig-Holstein soll demnach nun doch geteilt werden. Und mittendrin in dem Konflikt steht plötzlich Sylt, das zu Dänemark gehören soll, sehr zum Unwillen der Insulaner. Die Rettung kommt ausgerechnet aus den österreichischen Bergen – unter Mitwirkung der trickreichen Sylter.

 

Die deutsche Bevölkerung ist über Christians Entscheidung empört, und der „Deutsche Bund“, dem 41 Königreiche, Herzogtümer, die Freien Städte sowie Österreich und Preußen als Mitgliedstaaten angehören, zwingt das dänische Heer zum Rückzug bis zur Eider; am 1. Februar 1864 beginnen die beiden deutschen Führungsmächte Preußen und Österreich den Deutsch-Dänischen Krieg. Dabei ist auch ein Verband der österreichischen Kriegsmarine, um zusammen mit Preußen den dänischen Handelskrieg gegen die norddeutschen Häfen zu stoppen. 

 

An Land fällt die Entscheidung schnell gegen die Dänen, aber vom Geschehen auf dem Festland unbeeindruckt wird im nordfriesischen Wattenmeer um Sylt, Föhr und Amrum verbissen gekämpft. Die Insulaner wollen endlich deutsch werden, doch der dänische Befehlshaber, Kapitänleutnant Otto Christian Hammer (1822-1892), will die Inseln nicht verlieren. Er führt einen Kleinkrieg gegen die deutsch gesinnte Bevölkerung und befehligt recht eigenmächtig eine Flottille mit acht Offizieren, über 200 Mann, zwei Dampfern, acht Kanonenbooten und 15 Zollkreuzern. Als ehemaliger Wyker Zoll-, Leuchtfeuer- und Betonnungsinspektor ist Hammer mit den tideabhängigen Fahrwasserverhältnissen im Wattenmeer bestens vertraut, er setzt falsche Fahrwassertonnen, entfernt Seezeichen und kontrolliert den Schiffsverkehr. Jeder Verdächtige wird von ihm verhaftet.

(2) Kapitänleutnant Otto Christian Hammer

Seine Basis ist Föhr, das damals noch zweigeteilt ist. Im reichsdänischen Westerlandföhr wird Hammer unterstützt, während das von Schleswig verwaltete Osterlandföhr möglichst bald zu Deutschland gehören will. Auf Sylt sind die Verhältnisse eindeutiger, hier lehnt die Bevölkerung die dänische Herrschaft strikt ab und erhofft sich durch den Krieg die lang ersehnte Befreiung. Kapitänleutnant Hammer kennt die deutsche Gesinnung auf Sylt. Er geht hart dagegen vor und lässt alle Zoll-, Steuer- und Postkassen auf der Insel beschlagnahmen. Am 4. März nimmt er in Keitum drei Kapitäne und einen Bauernvogt als deutsche Anführer fest. Anschließend ersetzt er deutsch gesinnte Ratsmänner und Bauernvögte durch dänische Beamte.

 

Am 13. Juni holt Hammer zum nächsten Schlag aus und landet um zwei Uhr morgens auf Sylt, marschiert nach Keitum, umstellt den Ort und verhindert so jede Flucht. Hammer lässt einflussreiche deutsch gesinnte Bürger verhören und acht Keitumer festnehmen. Sieben Gefangene werden ins Gefängnis nach Kopenhagen gebracht. Wegen seines schlechten Gesundheitszustandes kann der Lehrer und Heimatforscher Christian Peter Hansen auf Sylt bleiben, steht aber unter Militäraufsicht. Später wird Hansen zum Chronisten des „tyrannischen Regiments“ des Kapitän Hammer. Seine anschaulichen Berichte finden im deutschen Sprachraum große Verbreitung. 

(3) Die sieben deutsch gesinnten Keitumer Honoratioren nach ihrer Rückkehr aus dem Kopenhagener Gefängnis.

Die Belagerung trifft Keitum völlig unvorbereitet und als die ersten Gefangenen abgeführt werden, ist die Bevölkerung geschockt. Um andere Dänengegner zu warnen, geht die junge Inken Möller, geb. Prott, mit einer Freundin zu den Soldaten, weist auf die vielen blökenden Schafe hin und behauptet, dass die an langen Ketten angepflockten Schafe „umgetüdert“ werden müssen, weil sie hungrig seien. Die Täuschung gelingt und während die beiden Frauen die Schafe umsetzen, entfernt sich Inken und berichtet über Hammers Belagerung. Die Warnung wird weitergetragen und die Gefährdeten können aufs Festland fliehen.

 

Österreich kämpft um Sylt und Föhr

Obwohl der militärische Sieg greifbar nahe ist, kommt im kaiserlichen Hauptquartier keine rechte Freude auf. Österreich ist für die Westküste verantwortlich und da ärgert sie der dänische Kapitänleutnant Hammer gewaltig, der dem mächtigen Gegner auf der Nase rumtanzt. Endlich macht Feldmarschallleutnant von Gablenz die Bekämpfung des dreisten Kapitäns zur Chefsache. Er fordert Unterstützung von der alliierten Marine an, die vier Kanonenboote und den österreichischen Raddampfer „Elisabeth“ stellt. Vom Heer werden zwei Kompanien des 9. Steirischen Jägerbataillons abkommandiert. 

 

Am 12. Juli wollen die österreichischen Jäger mit offenen Kleinbooten vom Festland nach Sylt übersetzen, doch Hammers Kanonenboote eröffnen das Feuer und zwingen zur Rückkehr. Unter Feuerschutz der alliierten Flottille klettern die Steirer am 13. Juli erneut in ihre Boote. Als sie von den Dänen wieder beschossen werden, warten sie auf einer Sandbank auf die Ebbe, bis Hammer nach Süden ausweicht. Dann ziehen die Jäger ihre Boote ins Fahrwasser und landen sicher in Morsum und Keitum. Dort werden die 200 Österreicher von der Bevölkerung mit Jubel empfangen und als lang ersehnte Befreier überschwänglich begrüßt.

 

Damit ist Sylt genommen. Doch Föhr wird noch von Hammer beherrscht, der im Fahrwasser zwischen Wyk und dem Festland ankern lässt. Am 16. Juli marschieren die beiden Jägerkompanien nach List, gehen auf zwei Kanonenboote und setzen nach Föhr über. Die Einkreisung Hammers beginnt dann am 17. Juli, als die Alliierten alle Wasserwege absperren, auf denen Hammer die freie Nordsee erreichen könnte. Gemeinsam mit österreichischen Marinesoldaten nehmen die steirischen Jäger Föhr ein und besetzen Wyk. Am nächsten Tag beginnt ab 6 Uhr morgens die Beschießung von Hammers Flottille durch alliierte Kanonenboote und Infanterie vom Wyker Ufer. 

 

Hammer bleibt nur noch die Hoffnung auf die kurz vorm Abschluss stehenden Waffenstillstandsverhandlungen zwischen Preußen, Österreich und Dänemark. Tritt die Waffenruhe in Kraft, wenn er noch nicht kapituliert hat, kann er als freier Mann nach Dänemark fahren und seine Soldaten mitnehmen. Um Zeit zu gewinnen schickt er einen Offizier zum österreichischen Kommandanten und behauptet, dass der Waffenstillstand bereits unterzeichnet sei. Die Alliierten reagieren mit Erstaunen, lassen das Feuer einstellen und holen eigene Erkundigungen ein. Als sie erfahren, dass sie einer Falschmeldung aufgesessen sind, ist es dunkel und Hammer hat die Positionen seiner Boote verändert. Ein Beschuss ist erst am nächsten Tag wieder möglich.

 

Am 19. Juli erkennen sieben Offiziere, zwei Beamte und 185 Mann der dänischen Flottille die Ausweglosigkeit ihrer Lage und ergeben sich. Hammer ist nicht dabei. Als sich jedoch alle Kanonen nur noch auf Hammers Boot richten und das preußische Kanonenboot „Blitz“ immer näher kommt, kapituliert auch Hammer. Abends um 19.30 Uhr übergeben er und sein Erster Offizier ihre Degen dem Kommandanten der „Blitz“. Damit endet der Deutsch-Dänische Krieg, denn Kapitänleutnant Christian Hammer ist der letzte aktive dänische Kriegsteilnehmer. Wenige Stunden später, am 20. Juli, beginnt der offizielle Waffenstillstand. 

(4) Kapitänleutnant Hammer übergibt am 19. Juli 1864 auf „Blitz“ seinen Degen

Nach seiner Kriegsgefangenschaft kehrt Hammer schwer enttäuscht nach Dänemark zurück. Nicht nur sein Kampf um die Inseln war umsonst, auch seine Kriegsführung findet in der Heimat keine Anerkennung. Frustriert nimmt er seinen Abschied. Erst spät wird er dann doch noch posthum geehrt, als 1975 die dänische Marine ihr Torpedoboot P 542 auf den Namen „Hammer“ tauft.

 

Die österreichischen Truppen bleiben nach dem 20. Juli noch drei Monate auf den Inseln und werden von der Bevölkerung hochgeschätzt. Sowohl auf Sylt wie auch in Wyk werden die Offiziere zu Ehrenbürgern ernannt und zur Erinnerung an die Befreiung durch österreichische Truppen wird bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges der Geburtstag von Kaiser Franz-Joseph mit einem Umzug, Festessen, Ball und Feuerwerk gefeiert.

 

Auch die österreichischen Soldaten werden von der Bevölkerung herzlich aufgenommen und dürfen hübsche Friesenmädchen zum Tanz führen. Dabei verliebt sich der 1841 geborene Wenzel Wohner in die schöne Seemannstochter Anna Pauline Boysen aus Tinnum bei Westerland. Als das 9. Steirische Jägerbataillon abrückt, verspricht Wohner seiner Anna die Ehe. Doch bevor er seinen Militärdienst beenden kann muss er erneut in den Krieg. Diesmal kämpft er gegen den einstigen Waffenbruder Preußen, der 1866 bei Königgrätz das österreichische Heer schlägt. 

 

Ein Jahr später kann er endlich den Militärdienst quittieren und geht über 1.200 km zu Fuß in den Norden. Im Spätsommer 1867 schließt er endlich die geliebte Anna in die Arme. Wohner wird evangelisch, heiratet, lernt Sölring (Sylter Friesisch) und ist ein geachteter Bürger Tinnums. Anna schenkt ihm zwölf Kinder, von denen sechs groß werden und Wenzel arbeitet als Landwirt, Bäcker und gelegentlich auch als Vollziehungsbeamter. Er beschäftigt sich mit der homöopathischen Heilung von Tieren und ist besonders erfolgreich bei der Zähmung wild gewordene Bullen. Erhalten ist bis heute der Wanderstab aus dem Holz eines Pfefferbaumes, der Wenzel Wohner einst bei seinem langen Fußmarsch begleitete.

 

Der Text erschien in Welt am Sonntag vom 10. August 2014

Bildnachweis:

(1) Stahlstich vermutlich von Albert Henry Payne / Nordfriisk Instituut  

(2) Stahlstich von August Weger (1864) / Archiv der Insel Sylt

(3) Foto aus Archiv der Insel Sylt

(4) Holzschnitt aus Theodor Fontane: Der Schleswig-Holsteinische Krieg im Jahre 1864; Berlin 1866 / Hubertus Godeysen