Die Katastrophe von Kaprun – 155 Tote weil der Brandschutz fehlte
Ein Staat leugnet die Wahrheit

 

von Hubertus Godeysen

Österreich lebt vom Fremdenverkehr und Seilbahnen sind zu wichtigen Gelddruckmaschinen geworden. Millionensummen werden für Werbung und PR bezahlt, um mit frohen Bildern von glücklichen Familien auf Skiern Wintersportler anzulocken, die dann hoffen, bei blauem Himmel durch strahlend weißen Schnee zu pflügen. Deshalb stört jede Erinnerung an die 155 Skifahrer, die am 11. November 2000 im Tunnel der Kapruner Gletscherbahn sterben mussten. Lange hatten die Verantwortlichen in Kaprun und im Wiener Verkehrsministerium extrem fahrlässig geschlampt, bis es zu der Brandkatastrophe kam. Doch bis heute wird die Wahrheit über die Entstehung des Feuers und das komplette Fehlen des Brandschutzes vertuscht! 

 

Am Samstag, den 11. November 2000, erstickten und verbrannten in Kaprun im Salzburger Land 155 Menschen aus acht Ländern qualvoll im Tunnel der Gletscherbahn. Management und staatliche Aufsicht hatten über sieben Jahre geschlampt und sträflichst versagt. Um neun Uhr verließ der Zug „Kitzsteingams“ die Talstation, um 161 Skitouristen auf das Gletscherplateau Kitzsteinhorn zu bringen. Kurz danach brannte im unbemannten unteren Fahrstand ein Heizlüfter „Hobby TLB“ vom schwäbischen Hersteller Fakir aus Vaihingen. Der Lüfter war ausschließlich für private Haushalte konzipiert und für einen Einsatz in Fahrzeugen nicht zugelassen. Dennoch wurden vier baugleiche Fakir-Lüfter in die Fahrstände der beiden Züge der Gletscherbahn eingebaut. Trotz Extrembedingungen arbeiteten sie zuverlässig und fehlerfrei, obwohl jedes dieser vier Heizgeräte seit 1994 etwa 90.000 Mal im Acht-Minuten-Takt angesprungen war, bevor der Zug nach drei Minuten stromlos durch den nasskalten Tunnel rumpelte. Bei jeder dieser 3,9 Kilometer langen Pendelfahrten überwanden die an Seilen hängenden Züge einen Höhenunterschied von 1.535,4 Metern, fuhren mit einer Geschwindigkeit von 10 Metern pro Sekunde (36 km/h) und waren Temperaturschwankungen von über 20° Celsius ausgesetzt. 

(2) Einbausituation des Lüfters (links) und Auflagebereich der Hydraulikleitungen

1993 waren die alten Zugaufbauten der Gletscherbahn durch moderne Gehäuse ersetzt worden. Dabei wurden die völlig ungeeigneten Kunststoff-Lüfter in die neuen engen Cockpits eingebaut. Die Techniker schnitten Löcher in die Wände der Fahrpulte, zerlegten die Heizgeräte und setzten die beiden getrennten Gehäuseteile so stümperhaft in die ausgesägten Öffnungen ein, dass sie ihre Dichtigkeit und den Tropfwasserschutz verloren. Später verlegten Monteure Kunststoffleitungen für die Hydraulikbremse extrem eng an den Heizlüftern entlang, obwohl sie unter 190 Bar Hochdruck standen und „AERO HFA“ enthielten, ein ehemals für die US-Luftwaffe entwickeltes Hydrauliköl, dessen Verwendung wegen seiner leichten Entflammbarkeit und Explosionsgefahr weltweit verboten war.

 

Der schöne Schein der modern gestylten Bahn trog. Das neue Gehäuse war undicht, die eiskalte Zugluft pfiff durch die Ritzen und die Fahrer froren erbärmlich. Als der Betriebsleiter nicht auf ihre Klagen reagierte, griffen sie selbst zur Säge und bastelten primitivste Holzverschläge in die vier Cockpits ein, die sie mit Dämmwolle abdichteten. So entstand hinter engen Holzkästen ein illegales Chaos, bei dem die vier Heizgeräte keine Frischluft mehr erhielten. Auch bemerkte niemand, dass die unter Hochdruck stehenden Kunststoffleitungen durch das aggressive Hydrauliköl zunehmend porös wurden und Öl verloren. Es blieb unentdeckt, dass immer mehr rotes Hydrauliköl auf die Dämmwolle und in die Heizlüfter tropfte, deren Tropfwasserschutz mutwillig zerstört war. Immer öfter drang Öl in die Lüfter und immer häufiger saugten die Ventilatoren kleine ölgetränkte Dämmfaserteilchen ein. Die vier Fahrstände in der neuen Gletscherbahn waren zu zugigen, verdreckten und ölverschmierten tickenden Zeitbomben verkommen. Und niemand aus der Skination Österreich störte sich daran, bis ein Lüfter am 11. November 2000 Feuer fing. Der Ventilator hatte Hydrauliköl angesaugt, das vom glühenden Heizdraht entzündet wurde. Es brannte!

 

Hilflos gefangen im brennenden Zug

 

Mitglieder einer Skigruppe aus dem bayrischen Vilseck standen direkt an der Trennwand zum unbesetzten Cockpit und sahen bereits nach 30 Metern Fahrt Rauch aufsteigen, dann bemerkten sie auch Flammen. Noch befand sich die „Kitzsteingams“ auf einer 601 Meter langen offenen Stahlrampe vor der Tunneleinfahrt. „Wir müssen den Zug stoppen!“, riefen immer mehr Fahrgäste. Verzweifelt suchten sie nach Notbremsen, Rauchmeldern, Feuerlöschern, Kommunikationsmöglichkeiten zum Fahrer und Notöffnern für die Türen. Als der Zug in den Tunnel fuhr, stoppte er nach 531 Metern. Die eng aneinander stehenden Fahrgäste waren im Zug gefangen. 

 

Längst herrschte Panik und giftige Dämpfe erschwerten das Atmen. Türen und Fenster blieben verschlossen, es fehlten Notöffner und Nothämmer. In Todesangst schlugen sie mit Skistöcken Löcher in die doppelwandigen Fensterscheiben. Einige konnten sich durchzwängen, ließen sich auf die Gleise fallen und rappelten sich hoch. „Nach unten laufen! Nach unten!“ brüllte ihnen ein Feuerwehrmann zu. Nur zwölf Skitouristen, darunter 10 Deutsche, befreiten sich aus dem brennenden Zug und rannten zum Tunnelausgang. Viel zu spät öffnete der Fahrer die Zugtüren. Zuerst brannte das Öl im Kunststofflüfter und in den Leitungen, dann explodierte der zentrale Hydrauliktank und 180 Liter des verbotenen Öls schossen brennend durch die Bahn. Der Brand setzte hochtoxische Nervengifte frei, an denen zuerst die 150 Menschen im Tunnel erstickten, bevor sie bis zur Unkenntlichkeit verbrannten. Stinkend strömte dann eine schwarze Giftwolke durch den Tunnel nach oben, tötete zwei Insassen des Gegenzuges und drei Männer in der Bergstation. 

(3) Teilansicht des Holzverschlages 

Weil die Betriebsleitung es versäumt hatte, eine funktionierende Schließmechanik für die Brandschutztür in der Bergstation zu installieren, entstand durch die offene Tür ein gewaltiger Sog- und Kamineffekt im Tunnel, der ungehindert die tödliche Wolke nach oben riss. Das lebensbedrohliche Gift strömte bis zum Alpincenter, das an diesem Tag hunderte von zusätzlichen Gästen erwartete. Hätte die Giftwolke das Gebäude drei bis vier Stunden später erreicht, wäre die Zahl der Toten deutlich höher gewesen

 

Drei Tage trauerte die Alpenrepublik um 150 tote Skisportler aus Österreich (87), Deutschland (37), Japan (10), USA (8), Slowenien (4), Holland (2), England (1) und Tschechien (1) und um fünf Mitarbeiter der Gletscherbahn. Doch kaum konnte der ausgeglühte Tunnel betreten werden, begann das große Vertuschen, das Leugnen, der Diebstahl und die systematische Vernichtung von Beweisen durch Mitarbeiter österreichischer Ministerien, Dienststellen und Polizeieinheiten. Bevor der vom Salzburger Landesgericht als Gutachter eingesetzte Anton Muhr den weitgehend unbeschädigten Gegenzug „Gletscherdrachen“ untersuchen konnte, waren alle relevanten Beweisstücke entwendet und nach Wien verbracht worden. 

(4) Ein Heizlüfter für Bad und Wohnraum 

Die Staatsanwaltschaft Salzburg sah hierin eine Unterschlagung von Beweismitteln und plante eine großangelegte Hausdurchsuchung im Bundesinnenministerium. Doch dann schreckte sie vor der internationalen Außenwirkung dieser spektakulären Maßnahme zurück. Scham, falscher Patriotismus und mangelndes Vertrauen in die eigene Polizei verhinderten diese Beweissicherung. Ein Fehler, wie sich später herausstellte, denn ohne dieses Signal fühlten sich viele Staatsdiener ermuntert und beteiligten sich noch dreister an der Vereitelung der Wahrheitsfindung. Dennoch konnte Muhr die Brandentstehung im Zug gerichtsfest aufklären und die Salzburger Staatsanwältin Dr. Eva Danninger-Soriat klagte 16 Verantwortliche der Gletscherbahn, der Seilbahnaufsicht, des TÜV und einige Techniker an.

 

Im Wiener Verkehrsministerium schlug die Nachricht aus Kaprun bei Ministerialrat Horst Kühschelm wie eine Bombe ein. Als Leiter der Obersten Seilbahnbehörde hatte er 1993 die eisenbahnrechtliche Genehmigung für die Gletscherbahn erteilt: Ohne Brandschutzkonzept, ohne Notfallplanung, ohne Notsysteme, ohne mobile oder stationäre Löschsysteme, ohne Kommunikationssystem, ohne Not-Halt-Systeme, ohne Tür-Notöffnungssystem und ohne Nothämmer! Einen Tag später verkündete er bei einem ORF-Interview zwei Lügen: Erstens, die Gletscherbahn erfülle alle geltenden Sicherheitsstandards und Sicherheitsnormen! Zweitens, Österreich sei im Bereich der Seilbahnsicherheit weltweit führend! Zurück in Wien wurde Kühschelm noch hektischer und berief, mit Unterstützung der Regierung, eine „Internationale Expertenkommission Tunnelstandseilbahnen“ ein, die Österreich vom Vorwurf des fehlenden Brandschutzes befreien sollte. Die handverlesenen Experten, die alle der internationalen Seilbahnorganisation O.I.T.A.F. angehörten, deren amtierender Präsident Kühschelm war, erteilten gerne die erbetene Absolution und fertigten einen in französischer Sprache verschwommen und nichtssagend verfassten „Endbericht“ an. Nun konnte die österreichische Regierung medienwirksam verkünden: Bei Tunnelseilbahnen ist ein „Gefahrenbild Brand“ unbekannt! Kühschelm musste nicht auf die Anklagebank und der Republik blieben peinliche Ermittlungen erspart.

 

Angesichts von 155 Toten ist Kühschelms Reinwaschung mehr als zynisch. Denn niemand hätte im Tunnel ersticken und verbrennen müssen, wenn der Zug durch eine Notbremsung noch auf der Außenrampe gestoppt worden wäre und die Fahrgäste die Türen per Notöffner selbständig hätten öffnen und den Zug verlassen können. Die Skisportler aus dem bayrischen Vilseck bemerkten den Brand bereits nach einer Fahrt von ca. 30 Metern, also ca. 570 Meter, bevor der Zug in den Tunnel einfuhr und ca. 1 km, bevor er stoppte. Bei vorhandener Sicherheitstechnik, wie sie für jede Bahn vorgeschrieben ist, hätten die Bayern sofort reagieren und die Menschen im Zug retten können. Auch weil Hubert Schmid zu ihnen zählte, ein entschlossen und beherzt handelnder Feuerwehrmann, der sicherlich die Evakuierung des Zuges erfolgreich geleitet hätte. „In Katastrophenlagen wie diesen ist eine Minute eine Ewigkeit“, erklärt der Münchner Sicherheitsexperte Dr. Wolfgang Friedl, der eine komplette Evakuierung des Zuges in einem Zeitfenster von drei Minuten für realistisch hält.

 

Freispruch für Österreich – Schuld für Deutschland

 

Am 18. Juni 2002 begann in Salzburg der Kaprun-Prozess. Das Verfahren sollte klären, wer für den Tod von 155 Menschen verantwortlich war. Einzelrichter (!) Manfred Seiss saßen 70 Strafverteidiger und Opferanwälte gegenüber. Auch fehlten noch immer wichtige Beweise aus Wien. Sie waren unterschlagen worden, „am Aktenweg verloren“ gegangen oder tauchten später im Kofferraum eines PKW in Linz auf. Einige fehlen bis heute. 

 

Im Kaprun-Verfahren standen die hochbezahlten Verteidiger vor einem Riesenproblem. Wenn Muhr sein schlüssiges Gutachten über die Brandentstehung in der Gletscherbahn vortragen würde, wäre der Prozess entschieden und auf Österreich und die Gletscherbahnen AG kämen Forderungen in Milliardenhöhe zu. Auch wäre das Image des Skitourismus massiv geschädigt. Für die Starverteidiger unter Führung des Strafrechtsprofessors Wolfgang Brandstetter und des Salzburger Politikers Wilfried Haslauer gab es nur eine Lösung: Muhr musste weg! Er durfte sein vernichtendes Gutachten im Prozess nicht vortragen! Nun wurde der ehrliche und gradlinige Muhr öffentlich verhöhnt, sein Fachwissen in Zweifel gezogen und seine Erfahrung lächerlich gemacht, bis sein Körper rebellierte und er aufgab!

 

Jetzt konnten Verteidiger, Gutachter und der Richter in auffälliger Einmütigkeit den Prozess drehen und die Schuld von Österreich ins Ausland verschieben. Schnell war nun ein Schuldiger gefunden: Das solide schwäbische Familienunternehmen Fakir, das die vier Heizgeräte hergestellt hatte. Die neuen Sachverständigen machten eine angeblich gebrochene Halterung des Heizsterns im Gehäuse des Fakir-Lüfters für den Brand verantwortlich. Sie übergaben einem älteren Professor einen vorher manipulierten und im wahrsten Sinne entsprechend hingebogenen Heizlüfter zur Untersuchung, der wunschgemäß den Materialfehler bestätigte. Die chaotische und illegale Einbausituation der völlig ungeeigneten Haushaltsheizlüfter, die Verwendung des verbotenen explosionsgefährlichen Öls und die porösen Hydraulikleitungen wurden als nicht relevant abgetan. 

 

Am 19. Februar 2004 verkündete Richter Seiss sein Urteil und sprach alle österreichischen Angeklagten frei. Er beschuldigte die deutsche Firma Fakir, weil ihr Heizlüfter sich angeblich durch Konstruktions- und Produktionsfehler selbst entzündet hätte und so den Brand auslöste. Und während Angehörige ihr Entsetzen hinausschrien, Eltern weinend zusammenbrachen und verzweifelte Hinterbliebene wütend vor den Kameras der Weltpresse Gerechtigkeit forderten, feierte der Richter in einer Salzburger Szenekneipe mit seinen Gutachtern und Anwälten den erfolgreichen Ausgang des Prozesses. Weltweit wurde die Gerichtsentscheidung als Fehlurteil eingestuft und als größter Justizskandal in Westeuropa nach 1945. Viele erklärten: „Wenn jemand ein Messer kauft und damit einen Menschen absticht, wird kein Gericht der Welt den Mörder freisprechen und die Solinger Werke verklagen!“ Doch im Kaprun-Prozess war dies möglich!

(5) Das ausgeglühte Zugwrack

 

Ungläubig verfolgten auch im schwäbischen Vaihingen 400 Mitarbeiter der Firma Fakir die haltlosen Beschuldigungen aus Salzburg. Über 670.000 baugleiche Fakir-Lüfter waren weltweit verkauft worden und niemals gab es die im Prozess behaupteten Produktions- und Konstruktionsfehler. Doch die internationale Berichterstattung über Kaprun ließ die Verkaufszahlen für Fakir-Produkte am Weltmarkt zusammenbrechen. Das von der Familie Kicherer in zweiter Generation geführte grundsolide mittelständische Unternehmen wurde zahlungsunfähig und musste an ein türkisches Unternehmen verkauft werden. Die meisten Arbeitsplätze wurden vernichtet und viele Familien arbeitslos. 

 

Stuttgart ermittelte 

 

Statt sich jedoch mit dem höchst zweifelhaften Urteil zufrieden zu geben, empfahlen die Kaprun-Anwälte der Gletscherbahnen AG, die deutsche Firma Fakir wegen „fahrlässiger Tötung in 155 Fällen“ zu verklagen. Sie rechneten ebenfalls mit politischer Unterstützung aus Wien und waren geschockt, als die Salzburger Staatsanwaltschaft im Oktober 2005 das komplette Verfahren an ihre deutschen Kollegen in Heilbronn übergab. Denn im Prozess war Baden-Württemberg zum „primären Tatort“ der Brandkatastrophe von Kaprun geworden. 16 Monate ermittelten deutsche Staatsanwälte hart und unabhängig, unterstützt vom Landeskriminalamt Baden-Württemberg, von Universitäten und dem Deutschen Kunststoff-Institut. Erstmals wurde die Entstehung des Brandes durch Wissenschaftler und Kriminaltechniker ergebnisoffen untersucht. Im März 2006 fuhren die Ermittler nach Salzburg, arbeiteten sich durch die Verfahrensakten und nahmen alle verfügbaren Beweismittel mit. Nur die Teile der hingebogenen Halterung des Heizsterns, deren angeblicher Bruch im Gerichtsverfahren die deutsche Schuld und den Freispruch Österreichs „bewiesen“ hatte, fehlten. Kurz bevor der Besuch aus Deutschland eintraf, waren die so entscheidenden Beweisstücke heimlich aus der verschlossenen Asservatenkammer des Salzburger Landesgerichts verschwunden und sind nie wiederaufgetaucht. 

 

Im September 2007 schickte Stuttgart den 54-seitigen Ermittlungsbericht nach Salzburg: Die deutschen Staatsanwälte konnten nicht einmal einen Anfangsverdacht bestätigen! Österreich hatte ohne Skrupel und mit gefälschten „Beweisen“ die am Brand von Kaprun völlig schuldlose deutsche Firma Fakir und dessen seriöse schwäbische Unternehmerfamilie gnadenlos in den Ruin getrieben! Der Bericht aus Baden-Württemberg war für die österreichische Justiz so vernichtend und entlarvend, dass er bis heute nicht veröffentlicht wurde. Und auch die vier Gutachter, die sich im Salzburger Prozess so selbstgefällig inszenierten, standen blamiert da. Stotternd mussten sie eingestehen, dass ihnen einfachstes Grundlagenwissen über Sicherheitsfragen, Brandschutz und den Umgang mit Elektrogeräten fehlte. Noch peinlicher entpuppte sich Prof. Dr. Karl Maurer, der den alles entscheidenden Bruch am Kunststoffgehäuse des Heizlüfters gutachterlich festgestellt hatte. Der 82-jährige Sachverständige für Metalle war seit elf Jahren stark sehbehindert und hatte „erhebliche Schwierigkeiten“ beim Lesen. 

 

In jedem funktionierenden Rechtsstaat hätte es angesichts der neuen Beweislage und der überlegenen Fachkompetenz der Stuttgarter Experten ein Wiederaufnahmeverfahren geben müssen. Das österreichische Justizministerium verweigerte jedoch alle entsprechenden Anträge und nannte in der ZDF-Sendung „frontal21“ auch die Begründung: „Verschwörungstheorien oder absurde Behauptungen haben in der österreichischen Justiz keinen Platz, sondern nur Fakten und die österreichischen Gesetze.“ Und Dieter Böhmdorfer, recht zweifelhafter Bundesjustizminister von 2000 bis 2004, ärgerte sich im ORF: „Und dass sich Deutsche bei uns wichtig machen, von der sogenannten höheren Warte, das kennen wir, das halten wir aus.“ 

 

Karrieren in Österreich 

 

Weniger abweisend ging die Alpenrepublik mit ihren Unterstützern um: Franz Lang, der „Chefermittler“ in Kaprun, stieg vom Polizeimajor zum Polizeigeneral auf und leitete von 2008 bis 2019 das österreichische Bundeskriminalamt (BKA). Hauptverteidiger Prof. Dr. Wolfgang Brandstetter, der den Kaprun-Prozess erfolgreich gesteuert hatte, war von 2013 bis 2017 österreichischer Justizminister und zeitweilig auch Vizekanzler. Im Februar 2018 wurde Brandstetter Verfassungsrichter und musste 2021, nach Ermittlungen wegen Amtsmissbrauchs, zurücktreten. Dr. Wilfried Haslauer, Verteidiger des für die Brandkatastrophe hauptverantwortlichen Betriebsleiters Brennsteiner, wurde 2013 Landeshauptmann (Ministerpräsident) des Bundeslandes Salzburg. Ministerialrat Dr. Horst Kühschelm leitete bis zu seiner Pensionierung unangefochten die Oberste Seilbahnbehörde im Bundesverkehrsministerium. Bis 2005 blieb er O.I.T.A.F.-Präsident und wurde für seine Verdienste um das Seilbahnwesen zum Ehrenpräsidenten ernannt 

 

Und Günther Brennsteiner, als technischer Betriebsleiter der Hauptverantwortliche für den Brand in der Gletscherbahn, machte die fragwürdigste Karriere! Obwohl er den verdreckten, illegalen und brandgefährlichen Zustand in den Cockpits übersah, ein verbotenes extrem brandgefährliches Hydrauliköl einsetzte, sich einer professionellen Wartung des Hydrauliksystems verweigerte, die porösen Ölleitungen nicht auswechselte und die Installation der Brandschutztür oberhalb des Kaprun-Tunnel verschlampte, wurde er von den Gletscherbahnen AG zum Technischen Prokuristen befördert. Nun ist er für 13 Seilbahnen und Lifte auf dem Kitzsteinhorn technisch verantwortlich. Und damit der Mann, den viele Angehörige öffentlich und unwidersprochen als „Mörder unserer Kinder“ bezeichnen, fünf neue Seilbahnen „staatlich befugt“ bauen durfte, sprach ihm das Verkehrsministerium das volle Vertrauen aus und nahm ihn 2015 in den elitären Expertenkreis der „§ 20 Personen“ auf, die nach dem neuen Seilbahngesetz größte Baumaßnahmen leiten dürfen. 

 

Nur Manfred Seiss, Einzelrichter im Kaprun-Prozess, machte keine Karriere. Einige unglückliche Interviews und seine Freundschaft zu Österreichs bekanntestem Bordellbetreiber, ließen dann doch Zweifel an seiner Eignung zum Präsidenten des Landesgerichtes Salzburg aufkommen. Resigniert ging er in den vorzeitigen Ruhestand und lebt jetzt im sonnigen Italien. Lediglich Dr. Ernst Strasser, von 2000 bis 2004 österreichischer Innenminister, wurde zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Aber nicht, weil er das Verschwinden wichtiger Kaprun-Beweismittel gedeckt hatte, sondern weil er in Brüssel der Korruption überführt wurde. Als Leiter der ÖVP-Delegation im Europäischen Parlament war er im Rahmen der „Cash-for-Laws-Affäre“ in die Falle der britischen „Sunday Times“ getappt. 

 

Glaubt man der Bundesregierung in Wien, so hat das neue Seilbahngesetz von 2003 Österreichs Seilbahnen sicher gemacht. Doch erhebliche Zweifel sind angebracht: Bei einer Fahrt im Februar 2015 mit der Mölltaler Standseilbahn in Kärnten, bemerkte der Stuttgarter Sicherheitsexperte Hans-Joachim Keim 36 brandschutztechnische Mängel. 15 Jahre nach Kaprun entdeckte er sogar Haushaltsheizlüfter (Vaillant) im Fahrer-Cockpit! Nach einer „kommissionelle Überprüfung unter Beiziehung mehrerer Sachverständiger“ verbesserte das Verkehrsministerium daraufhin den vorbeugenden Brandschutz in der Mölltaler Bahn. Und im September 2019 riss bei der Standseilbahn zur Wurzeralm bei Spital am Pyhrn ein Hydraulik-Schlauch, obwohl das neue Seilbahngesetz „externe“ Überprüfungen vorschreibt, die vermutlich unterblieben waren. 60 Insassen kamen mit dem Schrecken davon, sie konnten den Tunnel zu Fuß verlassen. Das Öl hatte sich nicht entzündet. 

(6) Von dieser Talstation fährt keine Bahn mehr

Österreich vertuscht noch immer den Justizskandal von Kaprun. Lieber beschädigt das Land den eigenen Rechtsstaat und opfert das Ansehen der Justiz, als das lukrative Image des Skitourismus zu gefährden. Obwohl die im Kaprun-Prozess verwendeten falschen Beweise längst aufgeflogen sind und die Gerichtsgutachter jede Glaubwürdigkeit verloren haben, hält die Republik eisern an der Lüge von der deutschen Schuld fest. Solange das offizielle Österreich behauptet, dass Baden-Württemberg für die 155 Toten von Kaprun verantwortlich ist, dürfte es um die Sicherheit der österreichischen Seilbahnen nicht gut bestellt sein!

 

Vortrag gehalten als Referent der Brandschutz-Fachtagung der TÜV NORD Akademie am 16. November 2021 in Hamburg 

 

Bildnachweis:

Alle 6 Fotos entstammen dem Bildarchiv von Hubertus Godeysen

 

Leseempfehlung:
155 - Kriminalfall Kaprun / 155 – The Kaprun Cover-Up

Hubertus Godeysen, Hannes Uhl; Verlag edition a, Wien